Konzept für Forschungs- und Bildungswerkstätten zu Fragen der kollektiven Fürsorge & Gestaltung von Sorgebeziehungsweisen. Weiterführende Ausführungen zum Thema
“Liebe sei heutzutage mehr als ein kulturelles Ideal, meint etwa Eva Illouz, sie sei eine soziale Grundlage des Selbst, in dem Sinne, dass die Art und Weise, wie wir uns etwa in der romantischen Liebe erfahren, für unseren Selbstwert und unsere Selbstachtung so einschneidend sei. ‘Gerade aus diesem Grund sind wir wieder, und zwar mehr denn je, auf Ethik in den sexuellen und emotionalen Verhältnissen angewiesen’, stellt sie daher fest. Weil wir also in intimen Beziehungen so verletzbar sind, weil wir uns Menschen öffnen, ihnen vertrauen und von ihnen abhängig sind, brauchen wir in diesem Bereich eine Ethik, entlang derer wir unser Handeln orientieren. [...] Diese Verantwortung gilt für mein eigenes Handeln in meiner Beziehung, aber genauso für meine Reaktion auf Gegebenheiten, die ich nicht absichtlich initiiert habe. [...|“
Şeyda Kurt: Radikale Zärtlichkeit, S. 196
“ZÄRTLICHKEIT. Genuss, aber auch beunruhigende Begutachtung der zärtlichen Gesten des geliebten Objekts, in dem Maße, wie das Subjekt begreift, dass es kein Privileg darauf hat.” Roland Barthes
"Das Konzept des domestic space sitzt so tief, dass es für unmöglich gehalten wird, ihn dort auszuheben, wo das Zuhause als Norm mit dem Zuhause als Tatsache verwechselt wurde, als nicht neu erschaffbare Gegebenheit. «Häuslichen Realismus» als bedeutungslos hinzustellen, hat in unserem Horizont nichts zu suchen. Lasst uns den Blick auf Wohnräume als geteilte Labore richten, auf gemeinschaftliche Medien und technische Ausstattungen; [...] Vor uns liegt eine doppelte Aufgabe und unsere Sicht ist notwendigerweise stereoskopisch: Wir müssen eine Ökonomie entwickeln, die reproduktive Arbeit und Familienleben befreit, und zugleich familiäre Modelle aufbauen, die von der abstumpfenden Schinderei der Lohnarbeit frei sind.”
Laboria Cuboniks: Xenofeministisches Manifest, 0x15
Who cares ist ein Bildungsangebot und Anlaufstelle für Gruppen, in denen Menschen füreinander da sind und dabei von Erkenntnissen der (Reproduktions-)Arbeits- und Geschlechterforschung profitieren möchten. Who Cares (ist) konzipiert (für) soziale Räume, in denen Menschen emanzipatorische Ansätze zur praktischen Bewältigung von Fürsorgearbeit entwickeln. Ein besonderer Fokus liegt auf psychischer Care-Arbeit. Who Cares ist auch als Präventionsprogramm hinsichtlich psychischer Überlastung Einzelner angelegt und entsteht in engem Austausch mit Psycholog*innen und Psychiater*innen.
Im Rahmen einer Forschungs- und Bildungswerkstatt können verschiedene Ansätze im Sinne einer radikal zärtlichen Beziehungsweise ausprobiert und reflektiert werden. Pädagog*innen, Soziolog*innen und andere Expert*innen helfen beim Verstehen, Vorbeugen und Überwinden bekannter, nur scheinbar individueller bzw. sich als individuell darstellender Problematiken im Bereich der Care-Arbeit. Dabei können die individuell unterschiedlich wahrgenommenen Fürsorgeaufgaben als herrschaftsförmig strukturiert erkannt und kritisiert; patriarchale, sexistische, rassifizierende und kapitalistische Unmittelbarkeit denaturalisiert werden.
Außerdem können verschiedene Kollektive durch die Care-Werkstatt und darüber hinaus miteinander in Austausch treten, um Erfahrungen zu teilen und Bezug zur gesellschaftlichen Dimension der (scheiternden) Fürsorge und individuellen/kollektiven Reproduktion herstellen. Dabei soll der Fokus auf Fragen der Kollektivierung liegen, die über subjektiv gesetzte Grenzen des freundschaftlichen Miteinanders hinausgehen und gleichzeitig die Verwirklichung der Freiheit der Individuen zum Anlass haben.
Who cares schafft angesichts verschärfter sozialer Notlagen ein Bildungsangebot, das Menschen dabei unterstützt, Fragen der privaten Reproduktion und Fürsorge kollektiv anzugehen. Ziel ist es, individuelle Handlungsfähigkeit in solidarischen, zärtlichen Beziehungsweisen zu ermöglichen - und damit verbunden Perspektiven auf ein gutes, selbstbestimmtes Leben für alle Menschen greifbar zu machen, jenseits der Abhängigkeit von patriarchal strukturierten Familienkonzepten auf der einen und arbeitsamer Vereinsamung sowie rassifizierter und chauvinistischer Externalisierung von Care auf der anderen Seite.
Wie lassen sich Erkenntnisse und Techniken aus der Arbeits-, Familien- und Geschlechtersoziologie praktisch umsetzen? Wie können wir kollektiv soziale Sicherheit für uns Einzelne herstellen, gegen die verunsichernde Tendenz von Wettbewerb und Prekarität?
Wie gestalten wir Beziehungen zärtlich, ohne dass Care-Arbeit verunsichtbart wird?
Wie kann eine allgemeine, gesellschaftlich verbindliche Form der Fürsorge Gestalt annehmen, unter Berücksichtigung bestehender Freund*innenschaften und anderer klassischer Beziehungsformen und mit Bezug zu progressiven wissenschaftlichen und politischen Entwicklungen?
Wie gelingt die Aushandlung einer Ethik der Intimität in Freundeskreisen, Familien und anderen Bezugsgruppen?
Wie gestalten wir kollektive Zusammenhänge, in denen wir verbindlich füreinander da sind, ohne dass Einzelne überbeansprucht werden?
Wie gehen wir mit Konflikten auf eine radikal zärtliche Weise um?
Wie kollektivieren wir das Erkennen, Hinterfragen und Verteidigen von persönlichen Grenzen?
Wie können wir uns gegenseitig helfen, mit unseren Unsicherheiten umzugehen? Und Widersprüchlichkeiten bzgl unserer Bedürfnisse und unseres Begehrens auszuhalten?
Wie lassen sich Maßstäbe für Fürsorge und Verantwortung kollektiv aushandeln?
Wie lassen sich kollektive, reflexive Care-Strukturen schaffen, die freiwillige Anonymität nicht verunmöglichen?
Kontaktieren Sie uns gerne, wenn Sie an einem Austausch zu diesen Themen interessiert sind.
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