top of page
Suche
  • AutorenbildAssoziation:E

Utopia & Lost Futures: Zur antiautoritären Geschichte des 1. Mai

April 2023. Vortragsnotizen von LyA


I Vorgeschichte

Erster Aufruf für Arbeitszeitverkürzung erstmalig 1865 (nach dem amerikanischen Bürgerkrieg, Forderung nach 8 h Arbeitstag (davor 11-13 h) durch Kampf der Arbeiter*innen um kürzere Arbeitszeiten) -> Ergebnisse erst 20 Jahre später


Zäsur 1886: Mai 1886, in Chicago, Repression durch Polizei extrem, nach dem 1. Mai weitere Demos, bei denen zwei Arbeiter durch Polizei getötet wurden. Weiterer Protest am Haymarket, bei dem Bombe detonierte, Polizei in die Menge schoss. Weitere Repression gegen Anarchist*innen mit Verhaftungswelle sowie Versammlungs- und Zeitungsverbot.


8 Anarchisten (größtenteils ehem. Deutsche) wurden verhaftet und vier von ihnen ohne Beteiligungsnachweis zum Tode verurteilt und erhängt.

Antiautoritäre Bewegung mobilisierte Arbeiter*innenkampf/ Erinnerung an Riot Haymarket für 1. Mai. Zunächst kein Feiertag, 1. Mai Tradition des „Moving days“ (Vertragsabschlüsse, Aufhebungen, Arbeitsplatz-, Wohnungswechsel etc.)


Treffen internationaler Gewerkschaften am 14.7.1889 in Paris – 100-jähriges Jubiläum von Sturm auf Bastille, Kampf um 8h- Arbeitstag, Festsetzung des Kampftags auf den 1. Mai 1890 (international). Zunächst keine Rede von Wiederholung des Arbeiter*innenkampftags.


Anarchistische Tradition der Arbeiter*innenbewegung: Ablehnung des Staates als Organisator von Sozialismus, Anarchistische Menschen um Bakunin Forderung der Geschlechterfrage emanzipatorisch. Kritik nicht nur gegen Industriekapitalismus, mehr Gesellschaftskritik (Familie, Kultur, Habitus).


Anarchismus= Führerlosigkeit, Herrschaftslosigkeit, im weiteren Sinne: möglichst herrschaftsfreie Gesellschaft, für ein Leben in Assoziationen, Kooperationen, Genoss*innenschaften, für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit, Selbstbestimmung, Antiautoritarismus, Gewaltfreiheit, Dezentralität, Selbstverwaltung


Anarchosyndikalismus: Diejenigen, die die gesellschaftlichen Werte produzieren sind auch fähig, die gesellschaftlichen Werte zu verwalten, direkte Beteiligung der Mitgliedern, direkte Aktionen der Arbeiter*innen (so wie die Freie Arbeiter*innenbewegung Berlin FAU)



Kurzer Disclaimer über „Tag der Arbeit“

April 1933 erklärte Hitler den 1. Mai zum „Tag der nationalen Arbeit“, nachdem Goebbels ebenfalls erklärte, „dass der 1. Mai einhergeht mit großartiger Demonstration deutschen Volkswillen“

Ideologie durchzusetzen-> Gewerkschaften wurden nach 1. Mai 1933 durch Nazis „besetzt“/ gewaltvoll gestürmt

1945 erste Maifeiern mit übrig gebliebene Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen und Gewerkschaften

1946 wurde der 1. Mai durch den alliierten Kontrollrat zum Feiertag ernannt


Bis heute Forderungen, nicht „Tag der Arbeit“ zu formulieren, da das immer noch ein Erinnerung an den NS und eine menschenverachtende Bedeutung von Arbeit mit sich bringt. Bezeichnend ist der 1. Mai als "Kampftag der Arbeiter*innen"



II Historischer Kontext: Forderung/ Konflikte der Studentenbewegung BRD

1961 - Was passiert: mitten im Kalten Krieg, Bau der Mauer, Kennedy verkündet Ende der "Rassen"-Trennung, Sputnik 10 im März, Wasserstoffbombe in Somalia, Kurz nach Öl-Krise im Iran, Korea-Krieg, Vietnamkrieg, uvm.

  • Konflikt mit autoritären Machtgefälle / Hierarchien in Post-NS Deutschland

  • Forderung nach vollständiger Entnazifizierung der Gesellschaft mit antifaschistischer Aufklärung

  • Emanzipatorische Bestrebungen gegen kapitalistische Ausbeutung, Unterdrückung

  • Kampf gegen „Notstandgesetze“

  • Proteste gegen Vietnamkrieg

  • Konflikt mit Axel-Springer-Verlag

  • Konflikt mit Polizei (Mord an Benno Ohnesorg 1967)

  • Kritik der Hochschul-Bildungsreform

Antiautoritäre Bewegung richtet sich gegen autoritäre, hierarchische, unfreie Universitätsstrukturen

-> Hierarchie und Autorität im Bildungssystem wird in Frage gestellt

-> gesellschaftliche Bewegung mit verschiedenen Forderungen (Mitbestimmung in Seminaren, Instituten, Fakultäten, Aufhebung sachfremder Herrschaftspositionen und Abhängigkeiten, demokratische Selbstverwaltung der Unis)

  • Weg von autoritären Familienverhältnissen/Forderung der antiautoritären Erziehung

  • Individuum vor Tradition: (sexuelle) Selbstbestimmung

  • Abgrenzung von autoritärer Linke

Oskar Negt (ehem. SDS, Soziologe)

Beschreibt zwei konträre Vorwürfe gegen Antiautoritäre Bewegung:

1): Vorwurf der „Entdemokratisierung“: Zerschlagen damaligen Denkens, etc. siehe oben

2): Vorwurf: Tendenzen des Totalitären, Verachtung von verständigungsorientierter Kommunikation, „Linksfaschismus“ (Habermas)


Eva Hermann (1988-2006 Tagesschau Moderatorin und Autorin): Vorwurf an die antiautoritäre Bewegung: Zerstörung der bürgerlichen Familie, Traditionen. Man sollte ihrer Ansicht nach antitraditionelle Menschen bestrafen. In der Politik erfuhr sie viel Zuspruch von Politikern mit offensichtlicher Nazi-Vergangenheit, keine Kritik, Konventionalismus und autoritäre Unterwürfigkeit/Aggression stark vertreten.


Wir bemerken in 2023 einen starken Zuwachs von Konventionalismus, Konservatismus und einem steigenden Rechtsdruck.

Die Forderungen der heutigen antiautoritären Arbeiter*innenbewegung oder Antifaschist*innen sind in keiner Weise mit Rechts-Populismus und Rechte Propaganda zu vergleichen. Die Antifa als „gefährlicher“ zu bezeichnen, relativiert den Rechtsdruck.



III Anti-Autoritär

Theoriearbeit spielt eine zentrale Rolle bei antiautoritärer Bewegung: Theoretisches Reflektieren, Vorbereiten von Praxis


Die Theorie der antiautoritären Bewegung ist auch Ihre Praxis, solang die Bewegung wörtlich in Bewegung ist, gibt’s die Theorie


Es werden sämtliche Theoretiker*innen durchgesprochen und verschiedene Literatur gelesen. Nach praktischer Bewegung wurde Erlebtes reflektiert und mit in Diskussionen aufgenommen.

Theorieansätze nach Marx, Kant, Lenin, Mao, Anarchisten wie Bakunin, es wurden aber auch in den antiautoritären Kollektiven und Gruppen Lenin und Stalin kritisch diskutiert.


Soziologie als kritische Wissenschaft mit Autoren der Frankfurter Schule, Kritische Theorie rund um Horkheimer, Adorno, Marcuse

Kampf gegen oben genannte bestehende autoritären Tendenzen


Warum Abspaltung von autoritärer Bewegung?

Autoritäre linke Bewegung: strenge Disziplin, hierarchische Unterordnung der Individuen unter Autoritätspersonen und strikte Kontrolle, staatliche Ordnung unterordnen, (stark durch nationalsozialistische Ideologie geprägt, rückwärtsgewandte, autoritäre Gesellschaftsstruktur (–reactonary modernism))

Antiautoritäre Bewegung: starke Beteiligung der Individuen, größere Freiheiten in allen Lebensbereiche, teils anarchistische Ansätze

Unterschied: Forderung nach Freiheit, (sexuelle) Selbstbestimmung, individuelle Verantwortung, Ablehnung aller (patriarchalen) Macht



IV Bezug zur Arbeiter*innenbewegung

Die Arbeiter*innenbewegung wichtige politische Kraft, setzt sich für Interesse der Arbeiter*innen ein. Zwiegespaltene Beziehung:

  • gewisse Solidarität mit Kämpfen/Teil der Forderungen der Arbeiter*innen

  • Doch waren Gewerkschaften und politische Parteien geprägt durch autoritären Hierarchiestrukturen, Kritik der antiautoritären Aktivist*innen an Arbeiter*innenbewegung und ihren Führungsstrukturen

  • Versuch von einem Teil der antiautoritären Bewegung, Ideen in die Arbeiter*innenbewegung zu bringen -andere Antiautoritäre Aktivist*innen lehnten das aber ab

  • Beziehung der Bewegungen sehr komplex und ambivalent: immer Versuch der Verbindung, aber zentrales Konfliktfeld sind die Autorität und Hierarchie.

  • Doch trotzdem wollen Studierende mit Arbeiter*innen und Schüler*innen kämpfen



V Scheitern & Kontinuitäten

Scheitern: Theorie-Mackertum“, es waren in vielen der theoretischen Gruppen immer dieselben, meist immer dieselben männliche Studenten, die meist untereinander redeten und niemanden anderes zu Wort kommen ließen, da ein bestimmtes breites Wissen an Definitionen und Begriffen erwartet ; die Autorität der Eltern, Lehrern und Anderen Autoritätspersonen wurde nicht vollständig in Frage gestellt, keine grundlegende Veränderung im politischen System,


ABER auch


Kontinuitäten: viele soziale Veränderungen in der deutschen Gesellschaft durch antiautoritäre Bewegung, z.B. liberalere Einstellung zur Sexualität; individuelle Freiheit, Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, Etablierung neuere Formen von politischer Beteiligung; weitere Bewegungen resultieren aus der antiautoritären Bewegung (Gewalt gegen Kinder in 60er Jahren angefochten, erst in der zweiten Frauenbewegung in den 80er Jahren wurden Gesetze erlassen)




Quellen/Literaturverzeichnis





6 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page